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Aargauer Zeitung / MLZ, 2003-06-02; Seite 8; Nummer Kultur

«infolge» bleibt sichtbar

Die langweilige weisse Leuchtwand im Metro Shop Baden hat sich gewandelt: Acht riesige Leucht-Porträts lassen die Passanten stutzen, staunen, fragen. Für einmal sollen nicht Produkte besser verkauft, sondern der Raum für die Menschen aufgewertet werden. Die am Computer gemalten Köpfe von «Jeannette, Mirjam, Tim Alfonso, Zoë, CatTuong, Isabelle, Oliver» sind das Werk von Christian Vetter. Gross, leuchtend, wirkungsvoll. Der Zürcher Künstler hat sie für «infolge» geschaffen, das Kunst-am-Bahnhof-Projekt, das drei Jahre lang mit Aktionen und Eingriffen den Umbau des Bahnhofs begleitet hat. Die Leuchtwand ist das 14. und letzte Projekt von «infolge», das, was sichtbar bleibt.
(sa) alex spichale



Aargauer Zeitung / MLZ, 2002-07-01; Seite 1; Nummer Baden

«Lawine» am steilen Limmatbord
KUNST AM BAHNHOF · «Infolge 11» mit «Ornament und Gebrechen 2»

Nicht das Bahnhofareal selber, sondern unmittelbar angrenzendes Niemandsland zwischen Bahnhofplatz und Promenade hat sich die Künstlerin Ulrike Gruber für ihre Installation ausgewählt.
Wer durch die Promenade spatziert, wird unmittelbar ob dem Tränebrünneli am steil abfallenden Limmatbord mit einer alpinen Vision konfrontiert: «Die Lawine als urbanes Phänomen», so der Titel der Installation von Ulrike Gruber, Deutsche und in Genf lebende Kunstschaffende, die bezeichnenderweise selber Alpinistin ist.

Bei Ulrike Gruber löste das Limmatufer am untern Ende des Bahnhofplatzes für das 11. Projekt im Rahmen des Kunstprojekts «Infolge» Assoziationen aus. Sie setzte im urbanen Kontext eine künstliche Lawine ins Gelände, die als Phänomen gleichsam das im Aufbau begriffene Stadtzentrum sowie die zivilisatorischen Erzeugnisse allgemein infrage stellt.

Wie aus Eis und Schnee Ulrike Gruber hat 90 Module geschaffen, aus denen die Installation besteht. Die Module sind von einem Gletscher als Negativabdruck entnommen, in Polyester gegossen und motivartig reproduziert worden. Material und Form erinnern so an Eis und Schnee. Gruber schafft damit eine Annäherung an eine Form des Chaos, das zwischen Kontrolle und Zerstörung balanciert. Die Suche nach dem idealen Gleichgewicht ist ein immer wiederkehrendes Moment ihrer Arbeit.

Die geodätischen Systeme in der Architektur und die Entwürfe geografischer Karten von Buckminster Fuller (1895-1983) bildeten die Anknüpfungspunkte für dieses Projekt. Die Installation Grubers «Ornament und Gebrechen 2» wird im Gegensatz zum Schnee in untern alpinen Regionen nicht Schmelzen. Sie soll eine optische Reaktion provozieren und an dieser Lage eine überraschende, unvorhersehbare Störung darstellen. Unterstützt wurde das Projekt unter anderem von den SBB, vom Kanton Aargau (Baudepartement und Lotteriefonds) sowie vom Fonds cantonal de décoration et d’art visuel Genève. (-rr-)



Aargauer Zeitung / MLZ, 2002-05-25; Seite 1; Nummer Baden

Nackter Gegenschlag

Was ist Kunst? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Tüfeli jeweils, wenn eine neue Folge von «Infolge» ansteht. Diese - von der öffentlichen Hand als «Kunst am Bau» gesponserte - Serie rund um den Bahnhof hat verschiedentlich auf sich aufmerksam gemacht. Über den künstlerischen Gehalt kann man unterschiedlicher Meinung sein. Das jüngste «Infolge»-Projekt: ein Käfig, wo man sich in schützender Montur, wie Zürcher Polizisten an der 1.-Mai-Demo, nicht Pflastersteinen, sondern den von einer Wurfmaschine geschossenen Tennisbällen aussetzen kann. Statt Gegengewalt lieferte Attila Herendi, von Beruf Künstler und geborener Ungare sowie sozialistischer Realist, einen Konterbeitrag. Er stellte sich in Wurfposition und beinahe nackt auf einen Stuhl - beinahe, weil er den breitrandigen Hut als sein Markenzeichen trägt -, liess sich fotografieren und porträtierte sich nach dieser Vorlage. Das Selbstbildnis steht nun ergänzend am Bahnhofplatz. Wie man das Badener Original kennt, soll sein Kunstbeitrag weniger als tiefschürfendes, gesellschaftskritisches Werk betrachtet werden, sondern vielmehr als ironischer Beitrag zum Schmunzeln anregen.

Dass Zauberer ihr Publikum mit ihren Tricks überlisten, ist bekannt. Richtig gezaubert wird jedoch nur in Märchen. Der Beweis: Eine aus Seuzach kommende Teilnehmerin am internationalen Märchenkongress hatte nach einer Veranstaltung im Kurtheater an der Garderobe statt des ihrigen nur noch einen (zu grossen) Männermantel vorgefunden. Daraufhin bat sie die AZ-Redaktion um Hilfe. Die Redaktion sicherte der Frau diese zu und forderte sie auf, es doch mit Zaubern zu versuchen. Zwei Tage später kam die dankende Antwort, sie sei wieder in Besitz ihres Mantels gelangt.

Manchmal möchte man aus purer Neugierde wissen, was Leute tun, die sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben. Zum Beispiel: Was macht die charmante Lilo Avakian, die bis Ende vergangenes Jahr im Restaurant Paradies den Laden geschmissen hatte? Sie hat sich nicht in den vorzeitigen Ruhestand gesetzt, um sich nur noch ihren Tieren (darunter Kater Minusch) zu widmen. Nein. Sie hat sich der Liebe verschrieben. Der Beweis flatterte jüngst in alle Haushaltungen: Ein Flyer einer Partnervermittlung, bei der Lilo Avakian als neue Mitarbeiterin bzw. -vermittlerin wirkt. Wer hat sich noch nie gewünscht, nach Herzenslust Ferien zu machen? Mit Bestimmtheit tat dies die für den Terminplan der Schulen im Badener Schulblatt zuständige Person. Im Ferienplan stösst man auf sonderbare Daten: Sommerferien vom Juli 2002 bis in den August 2003, Herbstferien vom September 2002 bis Oktober 2003, oder Weihnachtsferien vom Dezember 2002 bis Januar 2004. Das führt ja zu wahrhaftigen Ferienterminkollisionen, meint das Tüfeli. Die Expo.02 wird auf 5 Arteplages (Biel, Jura Mobile, Murten, Neuenburg, Yverdon) präsentiert. Zu neuen geistigen Horizonten sollen die Schweizerinnen und Schweizer dank dem Besuch der Expo.02 finden. Falls dieses Versprechen hält, wird spätestens ab Montag eine Rio-EWW-Zentrums-Arteplage geplant. Denn gestern war das Rathaus, also genau genommen, die löbliche Regierung mit ihrem Verwaltungsstab an der Expo. Da wird sicher einiges hängen bleiben. Das Tüfeli ist jetzt schon gespannt.

Auf dem Rückweg von der Expo besuchte die fröhliche Gesellschaft noch ein Patenkind. Wetti, dem Storch von Altreu, wurde die Aufwartung gemacht und natürlich auch dem benachbarten Restaurant. Wetti war vor
einigen Jahren zu seinem Namen gekommen, als eine Rathausdelegation die Patenschaft für den stolzen Vogel übernahm. Also eigentlich haben sich einbürgerungswillige Personen der Kultur ihres neuen Heimatlandes anzupassen.

Dies ist einigen Wettinger Parlamentariern immer wieder ein grosses Anliegen. Wortgewaltig malen sie die Gefahr des mangelnden Integrationswillens in die politische Landschaft. Wie gross die Gefahr besonders bei politischen Flüchtlingen ist, muss jetzt eine Wettinger Partei am eigenen Leib erfahren. Mit Vollgas, wie wenn sie Autoparteiler wären, donnern die akzeptierten Asylberwerber durch die Landstrassenabstimmung. Röbi Picard und Fredi Madaschi waren zur Eröffnung der WIR-Expo 2002 eingeladen. Zuvorkommend wie sie sind, hatten sie auch ihre Gattinnen mitgenommen. Ob das im kommenden Jahr auch wieder so sein wird, wagt das Tüfeli zu bezweifeln. Denn als sich die beiden Frauen zum Shoppen in die Messe abmeldeten, stand bei den sparsamen Herren der Angstschweiss auf der Stirne.



Aargauer Zeitung / MLZ, 2002-05-25; Seite 1; Nummer Baden

Der Flieger ist gelandet
BADEN · Ein gebührender Standort für Hans Trudels Skulptur

Der 1925 von Hans Trudel in Rom gegossene «Flügelmensch» ist gestern auf dem Bahnhofplatz auf eine sieben Meter hohe metallene Säule gehievt worden. Aber ist er wirklich gelandet? Oder nimmt er nicht vielmehr Anlauf, um im nächsten Moment abzuheben, Richtung Lägern davon zu fliegen, vielleicht nach Güttingen am Bodensee, wo der zweite Abguss der Figur steht? Der Haltung nach hat dieser Ikarus seine Flügel doch noch gar nie ausgebreitet. Stadtammann Josef Bürge bezeichnete an der Aufrichte den Flügelmenschen als «Sinnbild für Trudels Grundhaltung». Dem lange als Spinner verachteten Künstler war die Stadt Baden stets zu eng. Es lockte die Offenheit europäischer Weltstädte. Doch der Familie wegen kam er immer wieder dorthin zurück, wo er 1904 als 23-jähriger Konstrukteur für BBC gelandet war.

Den Flügelmenschen platzierte Trudel 1929 ohne Bewilligung auf dem Theaterplatz, dem gesellschaftlichen Treffpunkt des damaligen Baden. Mit der Neugestaltung des Platzes 1971 wurde der Flieger an unscheinbarem Ort auf einen Betonsockel gestellt. Manche Diskussionen um seinen Standort bewirkten nichts - bis Peter Regli vor zwei Jahren die Freiheit des Kunst-am-Bau-Projekts «Infolge» nutzte und den Flieger auf einen Baucontainer beim Bahnhofplatz stellte. Die Prüfung alternativer Standorte war wieder lanciert. Auf Vorschlag von Manuel Schoop, Architekt der Metroshop-Neugestaltung, und nachdem die Finanzierung durch Beiträge der NAB, von Schoop + Co AG, der Ortsbürger sowie der städtischen Abteilung
Planung und Bau sichergestellt waren, wurde der neue Standort auf dem Bahnhofplatz realisiert. Insofern kann doch von einer Landung gesprochen werden - einer glücklichen obendrein. (Mü)
Gelandet? Der Flügelmensch wird auf der 7-Meter-Säule festgemacht.



Aargauer Zeitung, 2001-04-26; Seite 1; Nummer Baden

Suva-Vorschrift für Flügelmensch

Man erinnere sich: Als zweiter Akt von «Infolge», dem Badener Projekt «Kunst im öffentlichen Raum», wurde Hans Trudels «Flügelmensch» am Theaterplatz vom Sockel gehoben und auf dem Bahnhofplatz zwischengelandet. Die Skulptur war 1925 in Rom gegossen worden. Trudel platzierte sie 1929 eigenmächtig und ohne Auftrag auf dem Theaterplatz, musste ihr aber noch ein Feigenblatt anheften. Das Feigenblatt ist längst wieder weg. Den schützenden Helm indes erhielt der Flügelmensch von einem Bauarbeiter während dessen Mittagspause.(-rr-)



Dimanche.ch, 2000-10-01; Seite 53; Nummer 39

«Infolge 03» Gare de Baden Samedi 16 septembre à 19 h 30
Durée des travaux: 3 ans · Adjectif: brut de décoffrage atmosphère

Rêves de béton

Le «Kunst am Bau» et son pourcent culturel se résument en général à l'achat d'une oeuvre, déposée ensuite dans un nouveau bâtiment public. La Ville de Baden, le canton d'Argovie et les Chemins de fer fédéraux ont préféré renouer avec un art qui s'intègre dans le processus de construction de la nouvelle gare, véritable point névralgique de la ville. C'est ainsi que fut retenu le projet de l'artiste Daniel Robert Hunziger «Infolge»: quinze performances réparties sur toute la durée des travaux. Le projet a été mené à quatre avec la collaboration de Sarah Zurcher, Olivier Kielmayer et Christina Hemauer. La troisième performance a eu lieu en sous-sol, dans la future succursale de Coop 1. Deux artistes genevois, Yann Duyvendak et Imanol Atorrasagasti 2 présentaient Dream On 3 une performance vidéo à écrans superposés qu'ils vont progressivement pourfendre, déchirant les faux-semblants médiatiques. Triple regard acéré des journalistes Sandrine Fabri, du Temps, et Barbara Bleich de la Neue Zürcher Zeitung, autour de Sarah Zurcher 4, historienne de l'art genevoise, zurichoise d'adoption et assistante de la Kunsthalle de Berne. Rêve 36, le diaporama, tourne sur le béton des murs, la tension se relâche, celle des artistes d'abord. Hanna Demuth ensuite, membre de la commis-sion artistique de la Ville, affiche un grand sourire face à Daniel Hunziger 5.

Un repas onirique et oriental fut alors servi, sorte de banquet post-industriel 6 pourtant sensuel et convivial. Les tours de magie du réalisateur Tobias 7 déri- dent Markus, de la Kunstgriff au Löwenbrau Areal (ZH) et l'architecte Raphaël. Pas étonnant donc qu'à plus de 2 h du matin, on discute encore à table 8 les vestiges de la performance en toile de fond.
Texte et photos: Anne Rubin



Aargauer Zeitung, Baden, 15.5.02

Aus Bällen werden Steine
BADEN · «Infolge» [10]: Stählerner Koloss auf dem Bahnhofplatz

Im Käfig, der bis zum 1. Juni auf dem Bahnhofplatz aufgestellt ist, sind keine Raubtiere. Meistens steht er leer - bis er für die Besucher geöffnet wird, die sich darin dem Bombardement von Bällen entgegenzustellen wagen.

Manches der vergangenen Events von «Infolge», dem unkonventionellen Kunst-am-Bau-Projekt rund ums Bahnhofareal, war unauffällig und blieb beinahe unbemerkt. An der jüngsten Installation auf dem Bahnhofplatz kommt nun aber niemand vorbei, ohne dass sie einem auffallen würde: «Impacts» tritt monumental in Erscheinung. Worum es ihr geht, gibt sie allerdings nicht sogleich preis. Auf den ersten Blick könnte man meinen, es handle sich um einen Raubtierkäfig für ein gewaltiges Ungeheuer.

9 Tonnen Stahl verteilen sich über einem Grundriss von 6 auf 12 Meter auf einen 4 Meter hohen Käfig. Trotz der Mächtigkeit wirkt der gitterne Koloss verhältnismässig filigran. Dennoch: Weder kann man sagen, er sei schön, noch ist, solange er schlummernd und regungslos dasteht, eine Funktion zu erkennen.

Aber wehe, wenn er sich regt! Dann wird der Käfig zu einer Mischung aus Sportarena und Labor ideologischer Auseinandersetzungen. Ballmaschinen werfen in schneller Folge Tennisbälle aus. Diese prasseln auf die Besucher nieder, die sich auf das Spielfeld im Käfig begeben haben. Der Eindruck, dass sich die Spieler in einer gefährlichen Szenerie befinden, verstärkt sich erst recht dadurch, dass sie sich mit Helm und Schild bewehren und per Unterschrift erklären, die ganze Verantwortung für ihr Tun selbst zu tragen.

Aus den Tennisbällen scheinen Pflas-tersteine zu werden, aus den Spielern Polizisten. Im spielerischen Ehrgeiz rücken sie immer näher an die Wurfmaschinen heran, um die Wirkung der Geschosse zu steigern und sie stärker zu erfahren. Die Erbauer von «Impacts», Jean-Damien Fleury und Nika Spalinger, wollten damit offenbar durchaus auch einen sozialkritischen Aspekt erfahrbar machen: «Als Schauspieler in sozialen Rollen orientieren wir uns an der Realität, stellen diese jedoch in der gebrochenen Form des Kunstwerks zur Diskussion.» So ergibt sich eine kritische Distanz zur Entwicklung der Gesellschaft.

«Impacts» war erstmals letztes Jahr am Festival Belluard Bollwerk International in Fribourg gezeigt worden. Derzeit befindet es sich auf Europa-Tournee: Nach Baden (bis 1. Juni) wird es in Barcelona, Lyon und Genf (Bois de la Bâtie) zu sehen sein.

«Impacts» ist das 10. Event des langfristig und punktuell zugleich angelegten Kunst-am-Bau-Projekts «Infolge». Dieses ist damit nach zwei Jahren seit seinem Start fahrplangemäss bei zwei Dritteln der 15 Einzelprojekte angelangt. «Infolge» war als Sieger aus einem städtischen Studienwettbewerb hervorgegangen, in dem nach neuen Ansätzen im Umgang mit Kunst am Bau gesucht worden war. (Michael Mülli)



Aargauer Zeitung, Baden, 9.4.02

hinweise
Baden Infolge-Kunstprojekt Baden Nr. 10: «Impacts»

Das Kernstück der interaktiven Installation von Nika Spalinger und Jean-Damien Fleury ist eine Ballmaschine, die in schneller Folge bunte Tennisbälle ausspuckt und zusätzlich den Betrachter/Mitspieler noch mit hektischen Lichtspielen bombardiert. Die daneben vorhandenen Schutzobjekte wie Helme, Schlagstöcke und Absperrungen wirken bedrohlich.
- Öffnugnszeiten Di-Fr 17-19 Uhr, Sa 12-16 Uhr. Bis 1. Juni. www.infolge.ch


Aargauer Zeitung, Baden, 9.4.02

Banale Hingucker gegen das Warten
BADEN · Videoinstallationen von «Infolge» am Bahnhof

Manche sind belustigt, einige wissen nicht, was sie davon halten sollen, wenige verstehen den Hintergrund, die meisten beachten sie gar nicht: Seit Freitag sind auf allen Perrons des Bahnhofs Baden Videoinstallationen eingerichtet. Sie stellen den neunten Teil des Kunstprojektes «Infolge» dar und wurden vom Zürcher Künstler Davide Legittimo gestaltet. Über bewusst unattraktiv gehaltene Bildschirme flimmern Porträtbilder des öffentlichen Raumes, untermalt mit (fiktiven) Fahrplanauszügen zwischen Baden und europäischen Metropolen und einem News-Ticker, der permanent Schlagzeilen über den unteren Bildschirmrand gleiten lässt. Die Installationen sollen bis zum 19. Mai die Wartezeiten von Pendlern und weiteren Benützern des Bahnhofs auf anspruchsvolle Weise verkürzen.

Legittimo sieht seine Installationen als Kontrapunkt zu den bereits verbreiteten Video-Panels der Post, deren Programm er allerdings für unbefriedigend und unausgewogen hält. Mit einigem Augenzwinkern kokettiert er mit der übertriebenen Wichtigkeit der kommerziellen News-Ticker und lässt banal tönende Schlagzeilen aus verschiedenen Schweizer Zeitungen in seinen Ticker einfliessen. Interessant dabei, wie Bild und Schlagzeile den Betrachter zu ungeplanten Assoziationen anregen.

Der Ansatz zur neunten Folge des Projektes ist interessant.Doch die Frage sei erlaubt: Bleibt der Genuss dieser Kunst nicht einer allzu kleinen, eingeweihten Gruppe vorbehalten? Zu unauffällig die Installation, zu familiär das Publikum an der Vernissage im Restaurant Seerose. Dabei ist das «Bahnhofs-TV» allemal ein Hingucker. (se)



Aargauer Zeitung, Baden, 1.10.01

Eine neue Formgesucht
Infolge Wettbewerb als Form der Kunstvermittlung

Nach den bisherigen sieben Projekten, die von eingeladenen Künstlern bestritten wurden, hat sich die Projektleitung entschieden, für einmal selber eine Aktion durchzuführen. Anlässlich der offiziellen Eröffnung des Bahnhofs wurden vom Infolge-Team am 19. September ab 6:30 Uhr den Reisenden und Pendlern Einladungskarten zu Infolge 08 direkt am Bahnhof Baden verteilt.

Das Absehen vom üblichen Versand an den gewohnten Adressenstamm ergab sich aus der Einsicht, dass viele der bisherigen Aktionen zwar ein interessiertes Kunstpublikum anzusprechen vermochten, von vielen Passanten jedoch, die den Bahnhof tagtäglich nutzen, nahezu unbemerkt blieben. Die Aktion ist nichtsdestotrotz mehr als ein kleiner Werbefeldzug in eigener Sache: Es ist weder ein Auf-sich-aufmerksam- Machen ohne jeden Mehrwert für das Publikum, noch losgelöst von der eigentlichen Grundaufgabe des Projektes. Die Reise für 2 Personen nach Berlin ist durch ihre luxuriöse Rahmung - Schlafwagenfahrt 1. Klasse, 2 Übernachtungen im legendären Hyatt-Hotel - als solche sehr attraktiv, versteht sich durch die von Infolge zusammengestellten Reiseunterlagen aber auch als aktive Form der Kunstvermittlung. Im vorgeschlagenen Reiseprogramm werden die Gewinner nicht den Fernsehturm, das Brandenburger Tor oder den Alexanderplatz finden, sondern eine Zusammenstellung von aktuellen Ausstellungen in Museen und Galerien, die es sich lohnt, anzuschauen, ausserdem einen Museumspass und darüber hinaus das Angebot, einen Künstler in seinem Berliner Atelier zu besuchen. Dem Verständnis von Kunstvermittlung entspricht dabei, dass dies alles ausdrücklich Vorschläge und Angebote bleiben: So, wie es jedem vor einem Kunstwerk überlassen bleibt, ob er sich darauf einlassen möchte oder nicht, so können auch die Gewinner der BerlinReise selbst entscheiden, ob sie die Vorschläge zum Kunst-Sightseeing befolgen oder nicht. Der glückliche Gewinner heisst übrigens Alfred Koller und stammt aus Würenlos. Für die Passanten am Bahnhof Baden stand bei dieser Aktion nicht das künstlerische Ereignis im Vordergrund, denn sie wurden lediglich Zeugen von Vermittlungsarbeit. Einräumen darf man allerdings, dass sie Kunstvermittlung in dieser Form wohl kaum jemals zuvor gesehen haben; und ebenso wenig einen Wettbewerb, der weder ein Produkt verkaufen will, noch eine wertvolle Adresse erschleichen. Damit löst die Kunst ein, was die Werbung nicht müde wird zu behaupten: Wettbewerbe ohne Schattenseiten gibt es. (in)



30.01.2001

Der Bahnhof als Kunstplattform
Baden 5. «Infolge»-Projekt realisiert

Zu einem Happening der Badener Kunstszene wurde die Eröffnung der Klanginstallation durch die Genfer Künstler Francis Baudevin und Pierre Vadi. Die Künstler haben entlang dem Perron 1 etliche Lautsprecher installiert und berieseln die Reisenden jetzt bis zum 28. Februar mit Tönen und Klängen, welche die Ankunft und Abfahrt der Züge sowie den Fluss der Reisenden rhythmisieren sollen.

Da die Gäste bei der Eröffnung ein wenig verloren auf dem Perron herumstanden und nicht so recht wussten, was auf sie zukommt, eilte Sabine Altorfer, eine der Initiantinnen des Kunst-am- Bau-Projektes auf dem Areal des Badener Bahnhofes, von Gruppe zu Gruppe und betrieb Aufklärung in Sachen Klanginstallation.

Ob allerdings die Reisenden in den kommenden Tagen diese Klänge überhaupt wahrnehmen werden, ist eher fraglich, denn vor allem an den Werktagen, wenn nicht nur emsiges Treiben auf der Baustelle herrscht, sondern auch auf den Perrons Betrieb herrscht, werden sie im allgemeinen Lärmpegel untergehen. So bleibt den Interessierten nur die Möglichkeit, sich an den Wochenenden diesen Tönen hinzugeben und sie auf sich einwirken zu lassen. (GR)



26.01.2001 05:02

«Infolge»: Spezielle Töne
Bahnhof Baden Die Genfer Künstler Francis Baudevin und Pierre Vadi realisieren eine Klanginstallation

Morgen Samstag wird der Bahnhof Baden wieder einen besonderen Tag erleben. Im Rahmen des fünften «Infolge»-Projektes (Kunstprojekt Bahnhof Baden) realisieren die beiden Genfer Künstler Francis Baudevin und Pierre Vadi eine Gemeinschaftsarbeit. Sie haben sich für eine Klanginstallation entschieden, die auf zeitliche und räumliche Aspekte der Reise Bezug nimmt. Am Badener Bahnhof, selber ein klassischer Durchreiseort, reflektiert die Klanginstallation die Idee der Reise. Durch ihre Töne und Klänge rhythmisiert sie die Ankunft und Abfahrt der Züge sowie den Fluss der Reisenden neu. Die sonore Ambiance soll subtil wirken wie ein Parfum, das den Ort als solchen zwar belässt, ihn aber durch die Aufladung mit individuellen Erinnerungen akzentuiert.

Francis Baudevin und Pierre Vadi leben und arbeiten in Genf. Beide Künstler nahmen schon an diversen Ausstellungen teil, so zum Beispiel 1998 an den Ausstellungen «Freie Sicht aufs Mittelmeer» im Kunsthaus Zürich oder «Der abgelenkte Blick» im Helmhaus Zürich. Unter dem Titel «Infolge» startete am 5. April 2000 ein neues, programmatisch offenes, «Kunst am Bau»-Projekt auf dem Areal des Bahnhofs Baden. Für dieses Vorhaben hat die Stadt Baden nach neuen Ansätzen im Umgang mit Kunst am Bau gesucht. Im Herbst 1998 wurden fünf Künstlerteams zu einem Studienwettbewerb eingeladen mit dem Auftrag, Konzepte für den Einbezug von Kunst beim Aus- und Umbau des Bahnhofs zu entwickeln. Der Basler Künstler Heinrich Lüber eröffnete im April 2000 auf eine spektakuläre Weise das Projekt «Infolge». Für einige Stunden wurde Lüber in gut zehn Meter Höhe an der Fassade der EPA befestigt und verharrte dort in der Position eines Klippenspringers. Ob Diashow, eine plötzlich erbaute Holzhütte in der zentralen Unterführung oder die neuplatzierte «Flügelmensch»-Statue, durch «Infolge» erhält der Badener Bahnhof jeweils ein ganz besonderes Gesicht. (sz/md)



züritipp (Tages-Anzeiger); 19.1.2001

Tipp der Woche
Malerei neu verpackt

Dass in der Werbung Kunst verwertet wird, ist bekannt. Mondrian und L'Oréal stellen ein Paradebeispiel dar.
Doch dass der Genfer Künstler FRANCIS BAUDEVIN (*1964) eine ironisch aufgeladene Zusatzdrehung initiiert, provoziert Irritation. Er überträgt die grafische Gestaltung von Medikamentenschachteln, CD-Covers oder Schokoladenpackungen zurück in Malerei. Ein Link zur konkreten Kunst ist auszumachen, auch einer zur Pop Art, doch stets durch Eingriffe subtil gebrochen. Baudevin lässt bei der Übernahme die Schriftzeichen weg, und er bläst das Format meist um das Zehnfache auf. Seine Gedankengänge im Transferbereich von Kunst und Werbung werfen grundsätzliche Fragen des kommerziellen Betriebssystems Kunst auf. Mit Pierre Vadi hat Baudevin überdies eine Klanginstallation kreiert: Vernissage ist am 27.1., 16 h, auf dem Perron 1 im Bahnhof Baden. (sar)



Die Irrfahrten des «Ikarus»
Der «Flügelmensch» auf dem Badener Bahnhofsplatz

bcb. Mit geschlossenen Augen steht er da, die Arme schwungvoll ausholend, als wolle er jeden Moment abheben und von seinem Sockel entschwinden. Die Rede ist vom «Flügelmenschen», einer Bronzefigur, die der Badener Künstler Hans Trudel 1925 geschaffen hat. Seit einigen Monaten schwebt sie über dem Badener Bahnhofsplatz vor dem Hintergrund zahlreicher Baukrane. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat der Künstler Peter Regli den Flieger auf dem Dach einer Baubaracke auf dem Bahnhofsplatz montiert. Die Verschiebung des Wesens vom Theaterplatz mitten auf die Baustelle des Bahnhofs stellt Reglis Beitrag zum städtischen Projekt «Kunst am Bau» dar.

Der Flügelmensch, in verschiedenen Quellen «Ikarus» genannt, ist seit seiner Entstehung in Rom stets auf Reisen gewesen. Seinem Schöpfer Hans Trudel, der zeitlebens um die Anerkennung seiner Heimatstadt gerungen hat, begegnet man heute in Baden auf Schritt und Tritt. Trudel, der 1958 gestorben ist, konzipierte die Figur ursprünglich als Brückenkopf für die Hochbrücke, die Baden mit Wettingen verbindet. Ein zweiter Abguss, «Dädalus» genannt, hätte das andere Ende der Brücke schmücken sollen. «Dädalus» befindet sich heute nach zahlreichen Irrfahrten in Güttingen am Bodensee.

Die Behörden lehnten Trudels Idee eines Brückenkopfes dankend ab, placierten den Flügelmenschen aber nach dem Abbruch des Stadttheaters vorübergehend auf dem Theaterplatz. Die Nacktheit der Figur führte jedoch zu Protesten: Im «Aargauer Volksblatt» vom 8. August 1929 stellte man sich die «bedeutende, verantwortungsvolle Frage», ob es «im Interesse der heranwachsenden Jugend sei, an einem öffentlichen Spielplatz eine nackte männliche Gestalt aufzustellen». «Ikarus» wurde mit einem Feigenblatt bedacht, das erst 1972 fallen durfte, als man den ursprünglichen Mauersockel durch einen wuchtigen Betonpfeiler ersetzte. Die Rampe zur Fussgängerunterführung, die vor der Figur in die Tiefe führt, hat dieselbe allerdings bald isoliert und an den Rand des Platzes gedrängt, wo sie kaum mehr beachtet wurde. Die Kontroverse um den Flügelmenschen entbrannte deshalb Anfang der achtziger Jahre im Zuge der Bahnhofumbauten aufs Neue: Die Skulptur sollte auf den Bahnhofplatz versetzt werden und dort einen würdigen Standort erhalten. Stadtrat und Kulturkommission lehnten das Projekt jedoch ab.

Nun thront der nackte Flieger über dem belebten Bahnhofsplatz und harrt seiner Zukunft. Das Schicksal der Bronzefigur liegt erneut in den Händen der städtischen Kulturkommission. Manch verwegener Kopf in Baden träumt davon, «Ikarus» und «Dädalus» dereinst am ursprünglichen Bestimmungsort zu vereinen und die Flügelmenschen über der Limmat schweben zu sehen.



Aargauer Zeitung, 7.10.2000

Ein fast normaler Alltag im Bretterverschlag

Infolge 4. Etappe der Badener Kunst-am-Bau-Serie mit Jos Näpflin in der Bahnhofunterführung

Nach einer längeren Kunst-Pause geht es bei "Infolge" jetzt wieder Schlag auf Schlag. Der neuste Streich am Badener Bahnhof: Jos Näpflin hat in der zentralen Personenunterführung einen Bretterverschlag mit irritierendem Innenleben aufgebaut.

Steht die Limmatstadt am Rand des Schlaraffenlands? "Baden in Milch und Honig!" nennt Jos Näpflin sein jüngstes Projekt, das als vierte Folge von "Infolge" den Badener Bahnhof in künstlerische Unruhe versetzt. Wer sich ob des verlockenden Titels vorschnell auf lukullische Genüsse und paradiesischen Frieden freut, liegt jedoch falsch. Näpflin, gebürtiger Nidwaldner und seit Jahren in Zürich lebend, hat in einer Ecke der neuen zentralen Personenunterführung einen simplen Bretterverschlag errichtet; eine Hütte, die einerseits fast so selbstverständlich zur Grossbaustelle zu gehören scheint wie die diversen Hinweis- und Umleitungstafeln, die aber andererseits auch Erinnerungen weckt: etwa an den umstrittenen Kunstkiosk von Thomas Hirschhorn, der 1998 an der Uni Irchel Zürich die professoralen Gemüter erhitzte.

Anders als bei Hirschhorn kann jedoch bei Näpflins Hütte - inmitten von bahnhöflicher Hektik und steter örtlicher Veränderung - von Provokation keine Rede sein, umso mehr aber von künstlerischer Irritation. Die Hütte steht so selbstverständlich da, dass man als Passant vielleicht der Idee aufsitzt, dass sich hier überarbeitete Bauarbeiter eine notdürftige Bleibe eingerichtet haben. Inspiziert man aber zwecks Überprüfung der eilends zusammengezimmerten Vermutung den Lotterbau, so zeigt sich, dass hinter den beiden Fens-teröffnungen (zwei eingepassten Bildschirmen, die den virtuellen Raum dahinter exakt abstecken) der fast normale Alltag herrscht.

Wir sehen einen Mann und eine Frau, die zusammen am Tisch sitzen, kleine Zärtlichkeiten oder Provokationen austauschen, telefonieren, Musik hören oder in einem Schrank wühlen - kurz: man vertreibt sich die Zeit und vegetiert, mehr oder minder an seinem Gegenüber interessiert, dahin. Doch manchmal kommen die beiden, von nicht näher bestimmbaren Signalen angelockt, näher ans "Fenster", schauen neugierig heraus. - Was hier als Alltag vorgegaukelt wird, ist in Wirklichkeit ein Theaterstück mit zwei Schauspielern, die unter Anleitung Näpflins "Alltag spielen".

Wird da, während die mediale "Big Brother"-Blase noch munter am Blubbern ist, kurzfristig auf einer Trendwelle mitgeritten? Auch hier sind ja "eingeschlossene Kandidaten" zu begutachten, auch hier steht das Medium zwischen Beobachteten und Beobachtenden. Doch Näpflin verneint, sein Ziel ist ein anderes: er will die Passanten destabilisieren, sie für einen Augenblick teilhaben lassen an einem "Warten auf Godot"-Moment. Denn Tatsache ist, dass die Figuren nicht Privates, sondern nur Scheinprivates nach aussen stülpen, dabei kaum sprechen, aber durch ihre Bewegungen, ihr Lauern und Beobachten eine permanente Unsicherheit erzeugen. Ähnliches gelang Näpflin schon vor fünf Jahren in Altdorf, wo er anlässlich von "Memento" heftige Verwirrung stiftete: er präparierte eine nachgebaute öffentliche Telefonkabine so, dass das Telefon jedesmal läutete, wenn ein Passant vorbei ging; und wer den Hörer abnahm, vernahm die mahnenden Worte "Denk mal".

Solche durchtriebenen Wahrnehmungs-Verrückungen passen denn auch ausgezeichnet ins Badener "Infolge"-Konzept, das sich von Anfang an verschiedenen Formen der Wirklichkeits-Bearbeitung öffnete. Zur Erinnerung: Heinrich Lüber liess sich in der ersten "Infolge"-Performance im April dieses Jahres mitten im Sprung vom EPA-Hochhaus einfrieren. Es folgten die Nacht-und-Nebel-Verschiebung von Hans Trudels "Flügelmenschen" (eine Aktion von Peter Regli) sowie die Multimedia-Aufführungen von Yan Duy-vendak und Imanol Atorrasagasti im Langhaus-Untergeschoss.

Mit diesen bislang 4 von insgesamt 15 geplanten Eingriffen ist es "Infolge" gelungen, ein weites Feld abzustecken: vom augenfälligen, spektakulären Performance-Akt bis zu schwierigeren Konzeptarbeiten scheint alles möglich. Einzige zwingende Bedingung ist nur die Bereitschaft zu unkonventioneller Herangehensweise, denn die Baustelle verändert sich dauernd. Das macht denn auch, wie Projekt-Initiant Daniel Robert Hunziker zugibt, eine langfristige Planung schwierig. Und daher rührt auch der hektische Projekt-Rhythmus, da, so Hunziker, die genaue Bauentwicklung nur begrenzt vorauszuplanen sei. Manchmal muss dann ein Künstler, wie jetzt Jos Näpflin, auch damit rechnen, dass sein ursprünglich für eine dunklere Ecke (in der alten Unterführung) konzipiertes Projekt plötzlich über Gebühr greller Beleuchtung ausgesetzt ist und - je nach Fortschritt der Bauarbeiten - über kurz oder lang wieder abgebrochen werden muss.

Hatte Hunziker noch zu Beginn des mittlerweile immer stärkere Konturen annehmenden "Infolge"-Projekts davon gesprochen, dass sich die Dialogfähigkeit der Kunst am Bahnhof Baden erst noch beweisen müsse, so will er nach dem ersten Viertel des auf drei Jahre angelegten Vorhabens noch keine Schlüsse ziehen. Doch hat sich inzwischen gezeigt, dass die von Hunziker und seinem Projektteam (Oliver Kielmayer, Sarah Zürcher, Christina Hemauer) geschickt ausgelegten Kunstköder je länger, je mehr "Infolge"-Verfolger anlocken. Und damit ist das unkonventionelle Vorhaben bereits auf guten Wegen. (Hans Jürg Zinsli)



Aargauer Zeitung, 18.09.2000

Verschiedene Träume dargestellt
Baden Dritter Akt des Kunstprojekts "Infolge" aufgeführt

Schauplatz war das neu errichtete, noch kahle und staubige erste Untergeschoss des Langhauses. Für einmal nicht nur Durchgangspassage, sondern Austragungsort einer Performance der besonderen Art. Zu sehen war nämlich Kunst, die sich sowohl aus visuellen sowie theatralen Effekten zusammensetzte. Inszeniert und aufgeführt wurde die Produktion "Alles falsch, alles echt?" von den Genfer Künstlern Imanol Atorrasagasti und Yan Duyvendak. Während der Vorstellung waren die beiden nicht direkt zu sehen, sondern hielten sich in einem von transparentem Plastik umzäunten Bau auf. Ihre drinnen vollzogenen Figuren wurden von einer Videokamera aufgenommen und von einer zweiten für die rund 200 Zuschauer auf die Plastikfassade projiziert.

Unter dem Titel "Dream on" vermittelten die Künstler verschiedene Traumbilder, die alltägliche wie abstruse Szenen darstellten: Das vergebliche Verstecken des Gesichts hinter einem Schal, um die eigene Identität zu verleugnen; der anfängliche Austausch von Zärtlichkeit zweier menschlicher Körper, der schliesslich in Gewalt mündet; das zur Qual werdende Einschenken von Kaffee, weil dieser jeweils an der Tasse vorbeigeleert wird, bis der potenzielle Trinker die Nerven verliert und ausrastet.

Die dargestellten Traumbilder waren authentisch und mit vielen Emotionen beladen. "Gefühle und Intellekt", so Duyvendak, "lassen sich schwer voneinander trennen; doch wir wollen die Menschen in erster Linie auf emotionaler Ebene ansprechen." Sein Gesicht strahlte an diesem Abend, denn der erste gemeinsame Auftritt mit Atorrasagasti verlief wunschgemäss.

Etwas unscheinbar wurde in einer Ecke der Video "Rêves d'été" gezeigt. Weitaus attraktiver war die Diaschau "Rêve No 36", wo mit Computer bearbeitete Bilder zu sehen waren. Deren Inhalt und Bedeutung waren zwar nicht immer klar zu erkennen, aber deshalb umso eindrucksvoller. Als karikierte Motive dienten unter anderem eine schwangere Frau, unterschiedliche Hände, ein blutig ausgefochtener Kampf, bei dem die verletzten Körperteile durch Holzprothesen ersetzt werden. Die Diaschau war bereits in Genf sowie in Liverpool am internationalen Symposium für elektronische Kunst demonstriert worden.

Die von Atorrasagasti und Duyvendak gezeigte Kunst wirkte nicht belehrend, sondern warf diverse Fragen auf, denen sich die Menschen stellen sollten. Was die richtigen Antworten sind, bleibt jedem selber überlassen. (Pet)




Neue Zürcher Zeitung, 18.09.2000 – Zürcher Kultur

Authentizität und Fälschung
Das Kunstprojekt «Infolge» zum Dritten

Kein Brett vor dem Kopf, sondern eine hauchdünne Folie nur trennt die Sinnesorgane von der Aussenwelt und lässt Realität als etwas Zwiespältiges erscheinen: Hinter der Plastic-Haut wird sie verzerrt, während die Folie selbst als Projektionsfläche für eine neue Realität wirkt. Das Spiel mit der Folie, aus der sich der Mensch gemäss seiner Conditio humana ständig schälen will, um nach der Aussenwelt, die er Realität nennt, zu greifen, war am Samstag Thema der Performance von Yan Duyvendak und Imanol Atorrasagasti. Dabei wurde ein Bild der Realität vermittelt, deren Authentizität nicht gewährleistet ist, sondern sich als Projektion medial versklavter Zuschauer präsentiert. Die in Genf wohnhaften Künstler inszenierten im Untergeschoss der Baustelle Langhaus im Badener Bahnhofareal den dritten Event des Kunstprojekts «Infolge», das unter der Leitung von Daniel Robert Hunziker, Oliver Kielmayer, Sarah Zürcher und Christina Hemauer seit vergangenem März Kunst am Bau in insgesamt fünfzehn Folgen inszeniert.

Dass die Frage nach Authentizität sich nur in Abhebung von der Fälschung stellt, hat die High- Tech-Performance zur Geltung gebracht. Hinter einer hell erleuchteten Fläche erzeugten Duyvendak und Atorrasagasti schattenhafte Menschenfiguren, die wiederum als Film auf die Fläche projiziert wurden. Ob der unscharfe Schatten Fälschung und der farbige Film Authentizität widerspiegelte oder ob umgekehrt im Schatten die Realität und im Film das Abbild zu suchen sei, blieb offen. Aus der Überlagerung beider Ebenen entstand ein halluzinogener Bilderfluss, der eine neue Form von Realität schuf.

Realität als Konstrukt medial versklavter Zuschauer zu entlarven, schien auch das Ziel der Diashow «Rêve Nº36», die auf das traumhafte Element menschlicher Selbstdarstellung fokussierte. Bilder einer Holzpuppe in einer computeranimierten, Distanz schaffenden Umgebung folgten auf verzerrte Nahaufnahmen menschlicher Gliedmassen. Die chaotische Anordnung der Baustelle verstärkte den prozesshaften Charakter jeglicher Realität, die sich aus anderen Blickwinkeln stets als Konstruktion entpuppen kann. (Barbara Bleisch)



Kunst-Bulltin, Nr. 9, 2000 – Veranstaltungen

Baden: Infolge - Kunstprojekt am Bahnhof

Yan Duyvendak und Imanol Atorrasagasti inszenieren für die dritte Aktion von INFOLGE zwei Orte zwischen Destruktion und Konstruktion: Einer wird von einer Performance eingenommen, der andere von der Diashow Rêve No36.

Die Frage, wo und mit welchen Mechanismen die Fälschung zum authentisch Echten wird, beschäftigt Yan Duyvendak und Imanol Atorrasagasti immer wieder; für sie ist der heutige Mensch ein Gefangener in einem System von Konventionen und herrschenden Machtverhältnissen, welche seine Realitätsvorstellungen beeinflussen und prägen.

Als Beigabe organisieren die Künstler ein ‘repas onirique’, das an die grossartigen Momente des von Yan Duyvendak Mitte der 90er Jahre geführten Restaurants Le pole in Genf erinnert.
Performance am 16.09. um 19.30 Uhr in der Fussgängerunterführung.
Weitere Informationen: www.duyvendak.com



Aargauer Zeitung, 10.6.2000

Zwischenlandung beim Bahnhof
Baden Die städtische Kultur sucht den Umgang mit Kunst im öffentlichen Raum

"Infolge", Folge 2: Hans Trudels Skulptur "Flügelmensch" ist vom Sockel am Theaterplatz gestiegen und über dem Bahnhofplatz zwischengelandet; im Begriff, bald wieder abzuheben - aber wohin? Der Befreiungsschlag hat Planer und Künstler beflügelt, nachzudenken.

Programmatisch offen ist "Infolge", das Kunst-am-Bau-Projekt auf dem Areal des Bahnhofs Baden. Auf der Suche nach dem Einbezug von Kunst beim Aus- und Umbau des Bahnhofs hatte sich die Stadt Baden in einem Studienwettbewerb für das Konzept des Künstlers Daniel Robert Hunziker entschieden. Dieses ist langfristig angelegt und will im Lauf der nächsten drei Jahre den Wandel auf der Baustelle begleiten, indem 15 verschiedene Künstler eingeladen werden, sich mit den unterschiedlichen ästhetischen, sozialen und politischen Konfliktfeldern des Ortes auseinander zu setzen. Mit zeitlich befristeten Eingriffen soll dieser öffentliche Raum immer neu aktiviert werden.

Der verschupfte Flügelmensch

Nach Heinrich Lüber, der Anfang April die Serie mit seinem "Sprung ins Leere" aus der Epa-Fassade heraus eröffnet hatte, realisierte Peter Regli die 2. Folge von "Infolge". Er war bei seinen Nachforschungen über den Bahnhofplatz auf den "Flügelmenschen" gestossen. Diese Skulptur von Hans Trudel war 1925 in Rom gegossen worden. 1929 platzierte sie der Künstler eigenwillig und ohne Auftrag auf dem Theaterplatz - allerdings erst, nachdem er ihr ein Feigenblatt angehängt hatte. An der Nacktheit der männlichen Gestalt hatten sich nämlich die Gemüter "im Interesse der heranwachsenden männlichen und weiblichen Jugend" erhitzt.
Im Zuge der Neugestaltung des Bahnhofquartiers und des Baus der Ölrainstrasse wurde dem Flieger das Feigenblatt 1972 weggenommen. Die verantwortlichen Behörden fanden, Baden sei eine weltoffene Stadt und einer solchen gebühre dieses Feigenblatt nicht. Weil die drei Schrauben, die es hielten, verwittert waren, musste Schlosser Freuler die "Operation" vornehmen. Dann wurde der Flieger auf einen Betonsockel gestellt, an einem Ort, der ihm nie gerecht wurde: unbeachtet von parkplatzsuchenden Autofahrern, verdrückt von kräftig wachsendem Baumwerk. Die Kontroverse um den Flieger kam auch Anfang der achtziger Jahre im Zusammenhang mit den Bahnhofumbauten wieder auf: Die Skulptur sollte auf den Bahnhofplatz versetzt werden. Stadtrat und Kunstkommission lehnten ab.

Befreiungsschlag

Fast zwanzig Jahre später wird am Bahnhof wieder gebaut und erneut tauchen Vorschläge für eine Umplatzierung auf. Dies war Regli Anlass für die zeitlich begrenzte Versetzung der Skulptur auf einen Baucontainer beim Bahnhofplatz. Er wollte sie befreien und ein Fait accompli schaffen: zurück auf den Theaterplatz kann sie jetzt wohl niemand mehr schicken.
An einer öffentlichen, recht gut besuchten Diskussionsrunde zum Thema "Bronze von gestern. Umplatzierung von Kunst im öffentlichen Raum" versicherte Sabine Altorfer im Namen der städtischen Kunstkommission: Versetzen will man die Skulptur, aber man weiss noch nicht wohin.
Stadtplaner Hans Wanner wies darauf hin, dass der Flügelmensch kein Einzelschicksal ist: Seit 1960 habe es in Baden 56 neue Kunstobjekte im öffentlichen Raum gegeben; davon seien 9 nicht mehr am ursprünglichen Standort. Inwieweit bei der Planung von Bauvorhaben auf bestehende Objekte Rücksicht genommen werde, hänge im Einzelfall von deren Bedeutung ab. Den Stadtturm würde man wohl nicht wegen Parkplätzen versetzen.
Architekt Jan Hlavica begrüsste Reglis Aktion als Befreiungsschlag, als Naturereignis. Kunst müsse den Alltag begleiten und sei nicht für die Ewigkeit. Thomas Müllenbach sprach aus eigener Erfahrung. Er hatte insgesamt fünf Objekte im öffentlichen Raum geschaffen, vier davon seien zerstört. Das sei der Lauf der Zeit, meinte er gelassen. Seine persönliche Konsequenz aber ist: Er macht keine Wandbilder mehr. Und: Guten Sachen soll man Sorge tragen, Skulpturen seien für eine Stadt identitätsstiftend und Trudels Flieger sei eine gute Skulptur.

Liegt die Heimat auf der Brücke?

Reglis Aktion war nicht angekündigt worden und wird sich idealerweise selber wieder zum Verschwinden bringen, wenn für den Trudelflieger "Ikarus" eine Heimat gefunden wird - vielleicht sogar dort, wo sie nach dem Willen des Künstlers hingehört: An einen Brückenkopf der Hochbrücke. Und erst ganz verwegene Köpfe wagen es zu denken: Vielleicht könnte die dazugehörige zweite Figur, der "Dädalus", aus seinem "Exil" am Bodensee heimgeholt werden und am anderen Brückenkopf seinen Platz einnehmen. Aber: Auf den Sockeln dies- und jenseits der Brücke steht doch je eine Skulptur von Jürg Stäuble. Dieser soll noch so froh sein, wenn sie von dort herunterkämen; er sei der Meinung, die Sockel seien zu gross für die Figuren. Damit wäre allen gedient! - Wirklich? Denn: Wo haben jetzt die Stäuble-Skulpturen ihre Heimat? Dereinst beim Bahnhof?



Aargauer Zeitung, 10.6.2000

Entrümpelung als Kunst
Diskussion: Warum Kunst im öffentlichen Raum?

Die Stadt Baden reserviert bei öffentlichen Bauten schon seit Jahren in der Regel zwei Prozent der Bausumme für "Kunst am Bau". Für das städteplanerisch ambitionierte und komplexe Bauvorhaben beim Bahnhof hat man nach neuen Ansätzen im Umgang mit Kunst am Bau gesucht. Anlässlich der Diskussionsrunde "Bronze von gestern" stellte Moderator Oliver Kielmayer (der auch an "Infolge" mitarbeitet) die provokative Frage, warum es überhaupt Kunst im öffentlichen Raum brauche. Kunsthistorikerin Sabine Altorfer warnte vor einer Gettoisierung der Kunst; sie dürfe nicht aus dem öffentlichen Raum verschwinden, weil dann auch keine öffentliche Auseinandersetzung mehr stattfände. Thomas Müllenbach erwähnte den Wert des Künstlers als Störfaktor. Jan Hlavica erweiterte den Kunstbegriff und meinte, eine künstlerische Tat wäre auch die Entrümpelung: nicht etwas hinzutun, sondern etwas wegzunehmen, Platz zu schaffen. Für Hans Wanner stellt sich nicht die Frage "ob?", sondern "wie?" es Kunst im öffentlichen Raum braucht. Bisher habe man zu fest an Objekten geklebt. Man müsse sich von Zwängen befreien und Schwerpunkte setzen. Ebenso Peter Regli: "Oft muss Kunst am Bau einfach halten." Man habe Mühe mit Kunst, die verschwindet. Aber spätestens, wenn ein Gebäude zerfällt, verschwindet auch die Kunst daran. Im Publikum sass Attila Herendi, Kunstmaler aus Baden. Er wehrte sich für die monumentale, schwerfällige Kunst, die als Stolperstein wirken soll. Vielleicht wird ja eine der verbleibenden 13 Infolge-Folgen ein solches Monumentalwerk. (Mü)



Aargauer Zeitung, 7.4.2000

Performierter Sprung in die nächste Bauphase
"Infolge" Heinrich Lüber schwebt, stürzt, fliegt, springt - dabei hängt er an der EPA-Fassade

Punkt 17.30 Uhr; die Verkehrsebene des Bahnhofplatzes ist dichter bevölkert als sonst. Grund: der erste Akt eines neuen, programmatischen Projekts offener Kunst am Bau auf dem Areal des Bahnhofs. "Infolge" heisst das Projekt von Daniel Robert Hunziker und soll innert der nächsten drei Jahre nicht herkömmliche künstlerische Gestaltung bringen, sondern neue Ansätze für Kunst am Bau in der Auseinandersetzung im öffentlichen Raum. Hunziker wird mit den Kunsthistorikern Sarah Zürcher, Oliver Kielmayer und der Künstlerin Christina Hemauer regelmässig Kunstschaffende einladen, die sich mit unterschiedlichen ästhetischen, sozialen und politischen Konfliktfeldern dieses Ortes befassen werden.

Jetzt 18.00 Uhr. Die Ansammlung zufälliger und geladener Gäste hat sich vergrössert, obschon die ersten Ungeduldigen wieder abgewandert sind oder noch einen Einkauf erledigen. Von Kunst noch keine Spur. Gutes Handwerk ist erst gefragt. Christian Häfeli von den Regionalwerken hantiert vom Korb des Lastwagenlifts aus an der EPA-Fassade. Dort muss er noch die Halterung für die Kunst anbringen. Dies gestaltet sich aufwendiger als vorgesehen, weil man hinter der vorgehängten Fassade nicht wie vermutet auf festen Beton gestossen ist, sondern auf weiches Material - ungenügend rekognosziert, denkt sich der Laie. Das nimmt unverhofft zusätzlich Zeit in Anspruch, die Verspätung liegt also nicht beim Künstler. Das Warten unten nimmt man vorderhand gelassen. Schliesslich serviert Peter Kiefer kühlen Weissen, frischen Parmesan, feines Brot und Pizzagebäck. Mit Smalltalk und Kulturgesprächen indes verfliegt die Zeit; für die einen schneller, für die wartenden Fotografen zu langsam. Immerhin: So werden alle nicht nur Zeuge von Kunst, sondern sogar von deren Entstehung.
Bereits 18.15 Uhr. Von Kunst noch nichts zu sehen. Doch jetzt gehen Aha-Erlebnisse durchs Publikum. "Paradeplatz", kommt es einigen über die Lippen. "Richtig", derselbe Heinrich Lüber, der vor wenigen Monaten über Zürcher Strassenpflaster hing, wird dies jetzt gleich hier in der Provinz tun. Eine Tragkonstruktion ist in die Fassade gedübelt worden. Über Folgeschäden durch Bohrlöcher müssen sich Badens Steuerzahler keine Gedanken machen; die Fassade werde ohnehin saniert, beruhigt Kulturfrau Sabine Altorfer.

Inzwischen 18.30 Uhr. Der Weisswein zeigt Wirkung. Nicht, wie jetzt angenommen werden könnte. Nein, vielmehr vereinigt sich im Körper das zunehmende Frösteln von innen und aussen. Glühwein und heisses Gebäck wären passender, war im wartenden Haufen die einhellige Meinung. Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung, gesteht sich der Realist ein. Plötzlich legt sich die Ungeduld, weil Handwerker und Künstler sich in der Szenerie ablösen.

Schon 18.45 Uhr. Endlich. Lüber, der es sich auf dem Gestell bequem gemacht hat, wird in seinen Anzug gehüllt. Nun, bequem ist wohl übertrieben. Spontaner Applaus. Lüber hängt (für die eingeweihten Beobachter) an der EPA. Frisch dazugekommene Zaungäste stehen staunend vor einem Rätsel. Fliegt diese Gestalt, stürzt sie, hängt sie, oder ist sie gar durch die Fassade gesprungen? "Puppe oder lebt er?", fragt jemand spontan. Lüber lüftet das Geheimnis selber mit spontanem Lächeln und Kopfdrehen. Leute bleiben stehen auf dem Fussgängerstreifen - und werden beinahe überfahren -, verpassen den Bus nur darum nicht, weil auch der Chauffeur vor lauter Staunen die Abfahrtszeit vergessen hat. Irritation beantwortet Lüber mit schelmischem Blick zurück. Der Bahnhofplatz wird plötzlich zum dreidimensionalen Begegnungs- und Kommunikationsort von Menschen jeglicher Gattung.
Dann 20.15 Uhr. Lüber schwebt (natürlich liegt/hängt er) noch oben. Seine Nase tropft. Die Finger sind klamm geworden, doch das anstrengende Vergnügen der ungewohnten Begegnung mit Menschen unten auf der Strasse hält ihn bei Laune. Dennoch wird er erlöst und wieder irdisch gemacht. Kunst, Performance oder ein Gag? Jeder soll sich das Seine denken. Wählen wir die Mitte: Performance. Sie hat gewirkt, unterhalten, zum Innehalten verleitet, zum Beobachten, Werweissen, Kopfschütteln, Nichtsdenken. Muss Kunst am Bau Objekt sein, darf sie nicht auch Subjekt sein. Kosten tut sie sowieso. Kunst ist vergänglich - die illusionistische, provokative, dialogische Performance ist es für Badens Bahnhofplatz im wahrsten Sinne gewesen. Vielleicht hängt er nächstens anderswo. (Roman Hube)



Aargauer Zeitung, 5.4.2000

Baden "Infolge" Kunstprojekt Bahnhof Baden

Unter dem Titel "Infolge" startet ein neues, programmatisch offenes Kunst-am-Bau-Projekt auf dem Areal des Bahnhofs Baden. Die 1. Folge von "Infolge" eröffnet der Basler Künstler Heinrich Lüber (geb. 1961). Für einige Stunden wird er in gut 10 Metern Höhe an der Fassade des EPA Warenhauses befestigt, in der Position eines wagemutigen Klippenspringers verharren. www.xcult.ch/x/lueber
EPA Warenhaus, heute Mittwoch, 5. April, 17.30 Uhr



Kunst-Bulltin, Nr. 4, 2000 – Kunst im öffentlichen Raum

Baden: infolge - Kunstprojekt am Bahnhof Baden

Unter dem Titel infolge startet ein neues, programmatisch offenes Kunstprojekt am Bahnhof Baden, wo über den Umweg einer mehrjährigen Baustelle ein neu strukturierter Knotenpunkt des öffentlichen Verkehrs entsteht. Für den Umgang mit Kunst auf dem weitläufigen Areal hat sich die Stadt Baden mit der Realisierung eines langfristig angelegten Konzepts des Künstlers Daniel Robert Hunziker für einen neuen Ansatz entschieden. Zusammen mit der Kunsthistorikerin Sarah Zürcher und der Künstlerin Christina Hemauer will Hunziker in den nächsten drei Jahren in regelmässigen Abständen KünstlerInnen einladen, sich mit den unterschiedlichen ästhetischen, sozialen und politischen Konfliktfeldern des Ortes auseinander zu setzen. Mit zeitlich befristeten Eingriffen soll dieser öffentliche Raum immer wieder neu aktiviert werden, damit er nicht zur simplen Fassade für alltägliche Verrichtungen verkommt. infolge will die Dialogfähigkeit der Kunst ausserhalb der institutionalierten Ausstellungsräume thematisieren.

Eine Performance des Basler Künstlers Heinrich Lüber (geb. 1961) wird am Abend des 5. April 2000 das infolge Programm eröffnen. Mit der für Baden geplanten Arbeit nimmt Lüber Bezug auf die spektakuläre und viel diskutierte Fotoarbeit der Sprung ins Leere von Yves Klein aus dem Jahre 1961. Aus beträchtlicher Höhe wird man den Künstler, zu einem dreidimensionalen Bild erstarrt, durch eine Fassadenhülle auf den stark frequentierten Bahnhofsplatz "hinunterspringen" sehen.



Neue Zürcher Zeitung, 1./2. 4. 2000 - Zürcher Kultur

Kopfüber in die Kunst
Kunstort Bahnhof Baden

Der Umbau des Bahnhofs Baden ist mit seinen sieben Teilprojekten, die auf ein Investitionsvolumen von 150 Millionen Franken angewachsen sind, zum ästhetischen, sozialen und politischen Spannungsfeld geworden. In die Dynamik dieses Spannungsfeldes will Daniel Robert Hunzikers Kunst-am-Bau-Projekt INFOLGE eingreifen und sich anhand verschiedener Performances und Installationen, die sich über einen Zeitraum von drei Jahren erstrecken, mit dem Bahnhofareal künstlerisch auseinandersetzen. Die Stadt Baden hat sich im Rahmen eines Studienwettbewerbs, der nach Konzepten für den Einbezug von Kunst beim Aus- und Umbau des Bahnhofs fragte, für das Projekt INFOLGE entschieden. Die Fachjury honorierte Hunzikers Idee, nicht auf eine abschliessende Gestaltung des Areals abzuzielen, sondern dessen momentane Prozesshaftigkeit aufzugreifen und als Kunstraum zu nutzen, sagte Stadtammann Josef Bürge am Freitag an der Medienkonferenz. Hunziker hat sein Projekt unter dem Titel «Wider eine künstlerische Gestaltung» eingereicht: er will die gehetzte, lärmige Atmosphäre nicht mit Kunst «verschönern», sondern in und mit dieser Atmosphäre arbeiten. In Form eines vierköpfigen «Kuratorenteams» wird er zusammen mit den Kunsthistorikern Oliver Kielmayer und Sarah Zürcher sowie der Künstlerin Christina Hemauer während der nächsten drei Jahre in regelmässigen Abständen insgesamt fünfzehn Künstlerinnen und Künstler einladen, temporär einen Ausschnitt des Bahnhofsgeländes zu gestalten. Den Auftakt dazu bildet am kommenden Mittwoch die Performance des Basler Künstlers Heinrich Lüber, der an der Biennale in Kairo 1999 den ersten Preis gewann. Die Performance ist seit rund zehn Jahren Heinrich Lübers bevorzugtes Medium, weil er zum einen deren unmittelbare Nähe zum Publikum schätzt, zum andern ihre Ausdehnung in Raum und Zeit, die eine eigene Art von Bildhaftigkeit ermöglicht. Innerhalb von INFOLGE wird Lüber am Warenhaus EPA, das an den Bahnhofsplatz angrenzt, eine neue Arbeit vorführen, die an die bekannte Photographie «Der Sprung ins Leere» (1961) von Yves Klein anknüpft: In gut zehn Metern Höhe an der Fassade befestigt, wird der Künstler während rund dreier Stunden in der Position eines Klippenspringers verharren. Die Spekulationen darüber, wie Yves Kleins Bild entstanden sein könnte, will Heinrich Lüber mit seiner Performance füllen: Die Frage nach echt oder manipuliert kann im Rahmen eines performativen Aktes, der zum Bild erstarrt, nicht mehr sinnvoll gestellt werden. Dieser «eingefrorene Kopfsprung» auf den Bahnhofplatz rückt den Raum ins Blickfeld, der in den kommenden Monaten im Zentrum der Bauarbeiten stehen wird. Gleichzeitig versinnbildlicht Lübers Position auch eine Art «Startsprung» ins Kunstprojekt INFOLGE, das ab kommendem Mittwoch seinen Lauf nehmen wird. (Barbara Bleisch)



Aargauer Zeitung, 1.4.2000 - Kultur

Kunsttupfer auf der Grossbaustelle

Bahnhof Baden Mit «Infolge» wird eine neue Form von Kunst am Bau gestartet
Wenn die Kunst aus ihrem Museumskorsett ausbricht, wirds oft richtig spannend. Am 5. April startet beim Bahnhof Baden das auf drei Jahre angelegte Projekt «Infolge» von Daniel Robert Hunziker. Zu sehen ist eine «eingefrorene» Performance des Basler Künstlers Heinrich Lüber.

Keine Frage: Baden befindet sich derzeit in einem dynamischen Prozess ohnegleichen. Der Bahnhof ist eine gigantische Grossbaustelle. Umbauetappe folgt auf Umbauetappe, was für Anwohner und Pendler gleichermassen strapaziöse Auswirkungen hat: die Emissionen sind hoch, die Orientierung ist erschwert. Am kommenden Mittwoch startet am Bahnhof Baden das von der Stadt Baden initiierte Kunstprojekt «Infolge». Für einmal keine «gewöhnliche» Kunst am Bau, sondern eine punktuell stattfindende Auseinandersetzung mit den Veränderungen im öffentlichen Raum. Der Hintergrund: Im Herbst 1998 wurden fünf Künstler zu einem Studienwettbewerb eingeladen mit dem Auftrag, ein Konzept für den Einbezug von Kunst beim Aus und Umbau des Bahnhofs Baden zu entwickeln. Nun wird mit dem Siegerprojekt «Infolge» von Daniel Robert Hunziker der Sprung ins Ungewisse gewagt, wie Stadtammann Josef Bürge an der gestrigen Pressekonferenz in Baden ausführte. Hunziker, der im Aargau schon verschiedentlich für Aufsehen sorgte (besonders mit seiner umstrittenen «Tribüne» um das Forum Schlossplatz 1998), lädt zusammen mit den Kunsthistorikern Sarah Zürcher und Oliver Kielmayer sowie der Künstlerin Christina Hemauer in den nächsten drei Jahren Künstlerinnen und Künstler ein, zeitlich befristete Eingriffe im Bahnhofsbereich vorzunehmen. Mit dieser Vorgehens weise wird nicht «hinterher ein fertiges Bauwerk behübscht», wie Bürge festhielt, es finden flüchtige künstlerische Prozesse statt, die auf spontane Art zum Dialog herausfordern. Ein ebenso mutiges wie kompliziertes Unterfangen, das einerseits auf die sich ständig verändernde Grossbaustelle reagieren muss und andererseits das Publikum herausfordert, sich mit eben diesen Irritationen auseinander zu setzen. Da wird sich, wie Hunziker sagte, die Dialogfähigkeit der Kunst noch beweisen müssen. Die erste Folge von «Infolge» findet am kommenden Mittwochabend statt, wenn der Basler Künstler Heinrich Lüber seinen «eingefrorenen Absprung» vom EPA-Warenhaus wagt. Eine einmalige und ca. dreistündige performative Reminiszenz an Yves Kleins legendäre Fotografie «Sprung ins Leere» (1961), und gleichzeitig auch – sozusagen – eine «Kunst-Vernissage zur Platz-Finissage». Kurz nach Lübers Aktion werden nämlich am Badener Bahnhofsplatz die Baumaschinen für die nächste Umbauetappe aufgefahren. – Mag auch der Bahnhofsplatz danach nie mehr derselbe sein, die Kunst-Eingriffe gehen weiter. Geplant sind insgesamt 15 «Infolge» Folgen mit Projekten von u. a. Peter Regli, Jos Näpflin sowie der 1999 vom Kuratorium ausgezeichneten Sabina Baumann. «Situation»: Eine Performance von Heinrich Lüber. Bahnhofplatz beim EPAGebäude, Baden. 5. April, 17.30 Uhr. «Infolge» Kunstkonzept von Daniel Robert Hunziker. (Hans Jürg Zinsli)